Dem zunehmenden Alter geschuldet, scheint das Langzeitgedächtnis
aus seinem Schlummer zu erwachen und mir die absurdesten Bilder und Filmchen durch
mein Gehirn zu schicken. Es gibt Tage und Nächte (oh, diese verfluchten Nächte),
da werde ich mit Kaskaden von Erinnerungen überschwemmt. War das wirklich alles
so? Stimmen diese Erinnerungen denn überhaupt?
Sie sind, keine Frage, wahrhaftig in dem Moment, in dem ich
sie habe. Aber sie sind keine Wahrheiten, weil sie gefiltert sind durch meine
Befindlichkeiten in diesem Augenblick, weil sie geschönt sind, weil sie Verdrängtes
in ein neues Gewand kleiden, weil sie oft durch die Erinnerungen anderer Leute geprägt
sind, weil sich ein bestimmter Blickwinkel über Jahre und Jahrzehnte verfestigt
hat, weil dies und das fehlt oder dies und jenes hinzugefügt wurde. Weil abgerufene
Erinnerungen immer in einem undurchschaubaren Prozess der Veränderung sind.
Unterm Strich sagen sie mehr über meinen momentanen Zustand denn
über meine damalige Verfasstheit aus. Und doch sind sie wertvoll, weil sie, in
all ihren Vielfältigkeiten und mit ihren Widersprüchen, mich zu der machen, die
ich gerade bin.
Auf manche von ihnen könnte ich verzichten, einige bringen
mich zum Lachen und andere rauben mir die Luft zum Atmen. Versöhnlich ist da
bis jetzt noch gar nichts.